Trinkwasser ist für Patienten mit Polydipsie und Polyurie lebenswichtig, denn sie trinken viel und scheiden viel aus.
Patienten mit Polydipsie und Polyurie trinken viel und scheiden viel aus. Bis zu 20 Liter setzen sie um und beeinträchtigen damit die Harnbildungsfunktion ihrer Nieren.

Übermäßige Flüssigkeitsaufnahme: Was steckt dahinter?

Eine Trinkmenge von über drei Litern pro Tag mit entsprechend vermehrter Urinausscheidung gilt als zu viel. Dieses krankhafte, literweise Trinken und Ausscheiden, Polydipsie-Polyurie-Syndrom genannt, kann durch Gewohnheit entstanden sein, Begleiterscheinung einer psychischen Krankheit sein oder seine Ursache in einem Hormonmangel haben. Wissenschaftler der Leipziger Universitätsmedizin haben nun zusammen mit Kollegen der Universitäten Basel und Würzburg ein neues Diagnoseverfahren entwickelt, das erstmals zuverlässig die Ursache des krankhaft gestörten Flüssigkeitshaushalts bestimmt.

Unsere Nieren reinigen und filtern unser Blut. Dabei säubern sie pro Tag rund 300 Mal die etwa sechs Liter Blut in unserem Körper. Wichtige Substanzen wie Eiweiße oder Mineralien bleiben dabei im Blut, Stoffwechselabfallprodukte filtern unsere Nieren heraus. Die Abfallprodukte werden über den Urin ausgeschieden. Aus circa 180 Litern, die täglich gefiltert werden, gelangen nur zwei bis drei Liter konzentriert in unsere Harnblase. Der Rest bleibt dem Körper erhalten. Möglich machen das verschiedene Hormone, unter anderem das Antidiuretische Hormon (Arginin Vasopressin Peptid, AVP). Es sorgt in den Nieren dafür, dass der Körper so wenig Wasser wie möglich verliert. Dieses Zusammenspiel gerät bei zu hohen Trinkmengen jedoch aus dem Takt. Wer konstant Flüssigkeit im Übermaß konsumiert, beeinträchtigt die Harnbildungsfunktion der Nieren. Sie können die Flüssigkeitsmengen dann nicht mehr zurückhalten.

Polyurie und Polydipsie sorgen für Leidensdruck

Genau das ist bei Patienten mit Polyurie (krankhaft erhöhter Urinausscheidung) und Polydipsie (krankhaft gesteigertem Durstempfinden) der Fall. Viele leiden auch an Diabetes insipidus, der Wasserruhr. „Die Patienten haben einen Flüssigkeitsumsatz von bis zu 20 Litern am Tag. Sie sind in ihrem Alltag sehr eingeschränkt, können das Haus ohne reichlich Wasservorrat kaum verlassen. Besonders gefährlich wird es nach einem Unfall, wenn den Ärzten die Diagnose Diabetes insipidus nicht bekannt ist. Dann geraten die Betroffenen schnell in ein Flüssigkeitsdefizit und entwickeln neurologische Komplikationen, an denen sie auch versterben können. Diese Komplikationen erleben wir in Unkenntnis tatsächlich nicht so selten“, sagt Dr. Wiebke Fenske, Studienleiterin und Leiterin der Nachwuchsforschergruppe „Neuroendokrine Mechanismen“ des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) AdipositasErkrankungen der Universitätsmedizin Leipzig.

Drei Hauptursachen bedingen den gestörten Flüssigkeitshaushalt

Polyurie und Polydipsie können verschiedene Ursachen haben. Häufig leiden Patienten an einem angeborenen oder erworbenen Mangel an dem Hormon, das in den Nieren dafür sorgt, dass der Körper so wenig Wasser wie möglich verliert. Oder ihre Nieren sprechen auf das Hormon nur ungenügend an. Krankhaft gesteigertes Durstempfinden ist vielfach auch antrainiert. Die häufigste Ursache sei tatsächlich das fehlerlernte Trinkverhalten, so Fenske. Wobei das auch psychische Ursachen haben oder medikamentös bedingt sein kann. Bei Ursachenforschung und Diagnose ist es wichtig, Antworten auf die folgenden Fragen zu finden: Trinkt der Patient viel, weil er zu viel Urin ausscheidet und so einem Flüssigkeitsdefizit vorbeugt? Oder trinkt er zu viel, weil sein Durstempfinden gestört ist? „Wenn wir die Betroffenen in Unkenntnis der eigentlichen Ursache falsch medikamentös behandeln, kann das für die Patienten schwerwiegende Komplikationen bedeuten“, sagt Dr. Wiebke Fenske.

Neuer Blut-Test statt Durst-Versuch

Bislang haben Mediziner die Krankheit durch einen „Durst-Versuch“ diagnostiziert. Der ist für die Patienten allerdings sehr quälend, da sie 16 Stunden lang gar nichts trinken dürfen, damit die Ärzte die Konzentration des Urins interpretieren können. Der Test erlaubt oft auch nur wenig Rückschlüsse auf die Ursache des gestörten Flüssigkeitshaushalts. Das von Wiebke Fenske und Kollegen erarbeitete Diagnoseverfahren bietet erstmals genau das: Die Ergebnisse des Tests zeigen, ob das Hormon AVP vom Gehirn nicht mehr ausreichend gebildet wird, in der Niere nicht mehr angemessen wirkt oder ob eine Störung des Durstempfindens den Beschwerden zugrunde liegt. Um das herauszufinden bekommen die Patienten eine Infusion mit einer hypertonischen Salzlösung, also mit erhöhtem Salzgehalt. Nach etwa einer Stunde folgt eine Blutentnahme. Die Ärzte bestimmen im Blut die Konzentration von dem Biomarker Copeptin. Diese gibt Aufschluss über die körpereigene Bildung und Funktionalität des Hormons AVP.

„Wir können die Patienten nun zielgerichtet therapieren und umgehen mögliche krankheitsbedingte Wechselwirkungen mit dem Testverfahren und Komplikationen durch Fehlbehandlung“, erklärt Dr. Wiebke Fenske. In zehnjähriger Forschungsarbeit haben die Wissenschaftler das neue Diagnoseverfahren entwickelt. In einer großen, internationalen Studie konnten sie zeigen, dass das neue Verfahren in bis zu 96,5 Prozent der Fälle die richtige Ursache erkennt und damit sehr viel zuverlässiger ist als der Durst-Versuch. Das neue Testverfahren wird nun Diagnosestandard bei Patienten mit Polyurie-Polydipsie-Syndrom. In der Leipziger Universitätsmedizin wird es bereits angewendet.

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